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Ob ich mich mit den Zahlen pudelwohl fühle? Als Treuhänderin gefällt es mir schon, mich einen Tag lang so richtig in die Zahlen zu vergraben und am Schluss geht die Rechnung auf. Aber das kommt heutzutage fast nicht mehr vor. Und das ist gut so, wenn ich mich mit etwas ganz und gar wohlfühle, dann ist das für mich abgeschlossen und ich muss einen Schritt weiter gehen. Ich habe eine kaufmännische Lehre gemacht, dann die Matura, zuerst Kulturmanagement und dann Musik studiert, unterrichtet, als Kulturmanagerin und als Journalistin beim Radio gearbeitet. Über die berufliche Tätigkeit erforsche ich den Sinn im Leben, erfinde mich immer wieder neu. Seit sieben Jahren bin ich selbständige Treuhänderin. Zu meiner Verteidigung muss ich ergänzen: Konstanz finde ich auch sehr schön, ich bin seit ewigen Jahren mit dem gleichen Mann zusammen und das ist wunderbar. 

Zu mir kommen viele, die ein Unternehmen gründen wollen. Mich interessieren ihre Motive, ob es darum geht, aus einem Zahnrädli-Job auszusteigen oder beispielsweise darum, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln. Viele sagen: ich muss es einfach ausprobieren. Wenn ich es jetzt nicht mache, kann ich nicht mehr in den Spiegel schauen oder mache mir Vorwürfe auf dem Sterbebett. Bei Frauen ist es auch immer wieder diese gläserne Decke, sie sind an einem Punkt, wo sie in ihrer Firma nicht mehr weiterkommen. Die meisten, die zu mir kommen, wollen etwas Positives für die Gesellschaft beitragen. Wenn es ihnen gelingt, ist es auch ein bisschen mein Beitrag. Jene, die möglichst schnell ihre Millionen scheffeln wollen, kommen nicht zu mir. Einmal kam einer, der hat gefragt, ob ich auch so Offshore-Sachen mache. Ich sagte nein und weg war er, das fand ich lustig. Eine andere wollte nur Zahn-Bleaching anbieten, da knirschte es bei mir innerlich so fest, das gäbe nie eine gute Zusammenarbeit.

Gründerïnnen verzichten auf Sicherheit und oft auch Einkommen. Ich versuche ihnen einen realistischen Spiegel vorzuhalten. Es braucht eben mehr als eine Idee und viel Enthusiasmus. Ich kann fast nicht anders, als auch eine Einschätzung über die Erfolgschancen zu geben. Das ist ein Balanceakt, sie auf die Risiken aufmerksam zu machen, ohne den Traum zu zerstören. Aber für beide Seiten ist es nicht lustig, wenn man in eine Abwärtsspirale kommt und ich habe es eigentlich kommen sehen. Aber ebenso ist es für beide Seiten eine Riesenfreude, wenn es zum Fliegen kommt. Besonders zufrieden bin ich, wenn ich mit Kundïnnen Strukturen bauen kann, die geschmeidig sind und stimmig. Und zeitgemäss müssen sie sein, also die Digitalisierung nutzend, und so gestaltet, dass möglichst viel im Unternehmen selber erledigt werden kann. Ich arbeite mit einem Tool in der Cloud, die Kundïnnen greifen darauf zu und geben ihre Ausgaben und Einnahmen selber ein, wenn sie wollen. Mir ist wichtig, dass sie einen Jahresabschluss ohne Angst anschauen und wirklich verstehen. Sie bekommen dadurch ein gutes Gefühl für den Zustand ihres Unternehmens und behalten die Verantwortung in den eigenen Händen. Sie werden selbstbewusst und können entschlossen auftreten. Die Branche ist total im Umbruch. In der alten Welt hat man mit Vernebelung gearbeitet, hat gesagt, das sei alles viel zu kompliziert für Laien, unmöglich, das selber zu verstehen, geschweige denn selber einen Beitrag zu leisten. Ich finde, das ist nicht mehr zeitgemäss, damit kannst du heute einfach nicht mehr kommen. Ich habe keine Angst, dass ich dadurch weniger Einkommen habe.

Pudelwohl fühle ich mich, weil ich täglich aufs Neue herausgefordert bin, jeden Tag sind fünf Fragen auf dem Tisch, die ich zuerst einmal nicht beantworten kann. Daneben erforsche ich mich selber, hinterfrage meine alten Geschichten, zum Beispiel meine Hemmung, mich angemessen entschädigen zu lassen. Es geht mir jetzt darum, mich fachlich und persönlich innerhalb meines Berufes weiter zu entwickeln.

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Die meisten Geschichten entwickeln sich in einem Gespräch und wir schreiben sie auf. Manche Geschichten werden uns zugeschickt, auf Einladung oder spontan. Bislang haben wir die Geschichten nicht systematisch gesucht – sie ergeben sich durch spontane Kontakte, Empfehlungen und Zufälle.

Die Geschichten widerspiegeln nicht immer unsere Meinung; und die Geschichtenerzählerïnnen sind wohl auch nicht immer einer Meinung.

Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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