Ich war fürs Wochenende allein in Graubünden. Die Wetter-App zeigte im Laufe des Nachmittags eine heftige Schlechtwetterfront mit Gewittern an. Ich plante daher zuerst, bloss eine kleinere Wanderung an den Lai Grand zu machen. Spontan beschloss ich dann aber, die mir unbekannte, lange Tour nach Sufers über die Farcletta digl Lai Grand zu wagen. Oben angekommen, brauten sich die Wolken zusammen. Aber die dolomitähnlichen Zacken der Splügener Kalkberge waren dermassen imposant, dass es mich weiterzog über den zweiten Pass, die Alperschälli-Lücke. Mittlerweile war der iPhone-Akku leer, so dass ich nicht mehr fotografieren konnte. Aber ich musste mich eh beeilen mit dem Abstieg nach Sufers.
Auf einmal musste ich stehen bleiben. Vor mir war eine steil abfallende Geröllhalde aufgetaucht, unten toste ein Bach. Da war keine Wegspur, aber ich wusste: Es gibt kein Zurück. Ich atmete tief durch. Dann machte ich sorgfältig einen Schritt nach dem andern. Mein Kopf war ganz ruhig und fokussiert, der Körper funktionierte zuverlässig. Als ich den Steilhang traversiert hatte, blickte ich zurück und realisierte, wie exponiert die Stelle tatsächlich war. Ein Glücksgefühl erfasste mich. Beschwingt setzte ich den Abstieg fort. Unten angekommen, schien die Sonne. Bevor ich in Sufers ins Postauto stieg, ass ich einen Coup Dänemark.
Ich war trotz der sehr langen und anstrengenden Wanderung überhaupt nicht müde, auch mein Geist war hellwach. Sie war ein Schlüsselerlebnis, das bis heute nachhallt und mich trägt: Ich hatte etwas gewagt, von dem ich nicht wusste, wie es ausgeht, und dabei meine Seelenruhe gefunden.