Ich bin in der Altstadt aufgewachsen. Hier gab es alles, was man zum Leben brauchte. Heute hast du fast nur noch Kleider- und Cremli-Läden. Es hat alles, was man nicht braucht. Und es ist abends sehr laut von den Leuten im Ausgang. Während des Lockdown war es so ruhig wie nie zuvor, man konnte mit offenem Fenster schlafen und hörte viele Vogelstimmen. Jetzt ist das aber schon wieder vorbei. Rundherum hat sich so vieles extrem verändert, aber der Schluuch ist eine Oase der Ruhe in dieser Hektik geblieben. Wegen Corana dürfen wir nicht alle Plätze im Restaurant besetzen, darum sitzen jetzt bei uns Plüschtiere am Tisch.
Mein Vater hat das Kafi Schluuch 1923 gegründet, ja, mein Vater, nicht mein Grossvater. Er war Jahrgang 1889 und kam nach dem ersten Weltkrieg aus Österreich. Meine Mama kam nach dem zweiten Weltkrieg in die Schweiz. Ich wurde 1960 geboren, als mein Vater 72 Jahre war. Als ich fünf war, starb er. Ich bin also ohne Vater aufgewachsen, aber mit drei Müttern: meiner Mutter und den beiden deutlich älteren Halbschwestern. Ich hatte auch zwei richtige Schwestern, wir waren ein echtes Frauenhaus. Nach dem Tod des Vaters hat eine Halbschwester den Betrieb geführt. Meine Mama war weiterhin in der Küche. Sie hat hervorragend gutbürgerlich gekocht.
Mein Mann und ich kamen über Umwege in den Schluuch. Ursprünglich wollte ich wirklich nicht hier festsitzen, sondern die Welt sehen. Ich arbeitete als Ernährungsberaterin, mein Mann war eigentlich Maschinenbautechniker, aber als Ausländer bekam er in seiner Branche keine Stelle. Er arbeitete als Hausmann und hat dann im Schluuch ausgeholfen. Das Kellnern gefiel ihm gut, weil er gerne mit Menschen zu tun hat. Als meine Halbschwester und meine Mutter so langsam nicht mehr wollten, haben wir gesagt: Dann übernehmen wir das, aber richtig und zusammen. Wir dachten zuerst, wir machen jetzt alles anders und besser. Aber dann merkst du, dass vieles eigentlich ganz gut war, so wie es war. Wir haben darum wenig verändert, einfach die schweren Vorhänge rausgenommen, das Oberlicht und die Seitenfenster umgestaltet, so dass alles heller wurde. In der Küche wollte ich nicht einfach im gleichen Stil weitermachen. Ich hatte mich schon länger mit Anthroposophie beschäftigt und habe dann diese Philosophie in der Küche eingeführt. Später kam ein Koch aus Sri Lanka und mit ihm die ayurvedische Küche. Beide Ideen sind sich darin ähnlich, dass sie den Menschen als Ganzes sehen. Das passt auch sonst zu unserer Idee vom Schluuch.
Der Schluuch ist so wie es uns passt, er ist authentisch und echt. In der Küche brauche ich keine Sterne, ich habe sie am Himmel. Wir sind ein Familienbetrieb. Wer hier arbeitet oder Stammgast ist, gehört auch zur Familie. Im Haus wohnen Mieterinnen und Mieter, Familienmitglieder und auch Mr. Singh, unser indischer Küchenhelfer, der seit Jahren mit Begeisterung den Garten bestellt. Während Corona musste sich niemand Sorgen wegen der Miete machen. Und jemand hat sogar die Kosten für die Auffrischung des Gastraums übernommen. Man könnte aus dem Betrieb und dem Haus sicher mehr Profit machen. Unsere Banker sagen immer wieder: Mit Gutmenschen wirtschaften ist nicht profitabel. Aber wir zahlen unsere Zinsen rechtzeitig und darum geht es die gar nichts an. Wenn man weniger auf den Gewinn achtet, gewinnt man viel.
Einer meiner Neffen ist Koch und hat die Hotelfachschule gemacht. Wir haben schon darüber gesprochen, ob er vielleicht den Schluuch übernehmen würde. Mein Mann ist 63 und ich 60, also machen wir uns schon Gedanken über die Nachfolge. Der Neffe sagt, wieso nicht, aber dann würde er alles anders machen. Man muss dann loslassen können. Noch ist es nicht soweit.