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Ich wurde vor einem Jahr in den Regierungsrat gewählt. Ich stehe nun an der Spitze einer Organisation mit rund 1800 Mitarbeitenden, die ziemlich hierarchisch aufgebaut ist. Eine ordentliche Veränderung für mich, arbeitete ich bis dahin in einer Firma mit fünfzehn Personen. Lange vorbereiten konnte ich mich nicht auf diesen Wechsel. Es blieben sechs Wochen zwischen Wahl und Amtsantritt. Während dieser Zeit schrieb ich meine Dissertation fertig – ein bisschen Zeitdruck ist manchmal hilfreich.

Ich hatte grosses Glück, dass mein Vorgänger eine Direktion hinterliess mit guten Leuten und einer guten Kultur. Man hört einander zu und sagt offen, wenn einem etwas nicht passt. Das finde ich sehr gut. Trotzdem gab es mit mir offenbar auch einige Veränderungen, die mir zuerst gar nicht bewusst waren. Beispielsweise bot ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Du an bei der ersten Begegnung. Das war neu. Oder später wurde mir erzählt, dass bis zu diesem Tag es sehr üblich war, Krawatten zu tragen. Das fiel mir nicht auf. Denn da ich keine trug, haben sich alle sehr schnell dem neuen Standard angepasst.

Das sind die einfachen Veränderungen in einer Organisation. Ich will aber weiter. Ich bin der Ansicht, dass die Zeiten der klaren Hierarchien vorbei sind. Wenn es gelingt den Stellenwert von Hierarchie in einer Organisation zu verringern, wird sie ungleich leistungsfähiger. Denn dann kann die Verantwortung und die Arbeit besser verteilt werden. Vor einiger Zeit habe ich unbemerkt eine Grenze überschritten: Bei einem Geschäft mussten wir in einer parlamentarischen Kommission unser Projekt vertreten. Ich wollte, dass mich statt dem Amtschef die zuständige Projektleiterin begleitet. Die versteht inhaltlich ja am meisten von der Frage. Da hiess es: das geht nicht, es braucht den Amtschef, das haben wir immer so gemacht. Die Parlamentarierinnen könnten es ja als respektlos empfinden, wenn nicht die Chefs kommen. Ich habe gesagt: Wenn es nicht funktioniert, machen wir es beim nächsten Mal wieder anders. Und man muss es auch einfach ein bisschen locker nehmen. Die Kommission hatte dann tatsächlich kein Problem damit, dass nicht der Amtschef aufgetaucht ist. Das Geschäft ist gut durchgekommen und der Amtschef und ich sind beide mit dem Vorgehen zufrieden.

Wir haben auch in der Corona-Zeit viel gelernt. Von einem Tag auf den anderen arbeiteten bei uns grosse Teile der Belegschaft von zuhause aus. Und das hat alles deutlich besser funktioniert als gedacht. Die Leute sind bereit Verantwortung zu übernehmen, wenn sie sie denn bekommen. Doch viele Chefs fürchten in solchen Situationen die Kontrolle zu verlieren. Deshalb waren die wohl auch der Ansicht, dass Homeoffice nicht funktionieren würde. Das Experiment «Corona» hat das Gegenteil bewiesen. Wer glaubt die Kontrolle zu haben, unterliegt so oder so einer Illusion. Denn die Zeit ist vorbei in der ein Chef einen Plan ausdenken kann, der dann so umgesetzt wird. Die heutige Welt ist dafür zu komplex. Es braucht sehr viel Austausch über die Grenzen von Abteilungen hinaus und den Mut etwas auszuprobieren. Wenn es dann schief geht, muss nicht der Schuldige gesucht werden, sondern man probiert einen anderen Ansatz.

Ich glaube, dass Gruppen gute Lösungen finden, wenn sie divers zusammengesetzt sind. Denn dann kommen viele unterschiedliche Sichtweisen zusammen, was für die Lösung von komplexen Problemen von Vorteil ist. Ich bin beispielsweise sehr froh, dass mein Generalsekretär schon seit mehr als 20 Jahren in der Organisation arbeitet und sehr grosse Erfahrung mitbringt. Das ist eine optimale Kombination. Ich bringe viele neue Ideen und Ansätze für Veränderung und er zeigt die Risiken auf oder was in Vergangenheit funktioniert oder eben nicht funktioniert hat. Ich erlebe diese Zusammenarbeit als sehr fruchtbar.

Neben meinen politischen Zielen ist es mir wichtig, dass sich die Direktion weiter entwickelt zu einer Organisation, die Lösungen findet, die für alle akzeptabel sind, die gute Leistungen anbietet für die Bevölkerung, die aktiv den Kanton gestaltet und in der die Leute gerne arbeiten.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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