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Seit einem Jahr lebe ich ohne Tierprodukte. Das war für mich wie ein Befreiungsschlag, die Lösung eines inneren Konflikts. Lange Zeit legte ich mir Stories zurecht, weshalb ich Tierprodukte konsumiere, obwohl ich immer mehr darüber erfuhr, mit welchen Problemen die Produktion verbunden ist. Ich habe mir gesagt, ich kaufe doch nur Schweizer Produkte, ich hatte das Gefühl, Bio ist heilig, auch wenn der Unterschied für Tiere minimal ist. Oder ich habe mir gesagt, ich allein kann nichts ausrichten, es hilft sowieso nichts.

In meinem Studium, Agrarwissenschaften, hatte ich eine Vorlesung, die unsere Landwirtschaft aus Sicht der Tiere beleuchtete. Wie wir Kühe künstlich im physiologischen Zustand des Mutterseins behalten, damit sie weiter Milch geben. Diese Tragödie der Mutter ohne Kind, das war für mich erdrückend. Meine Rationalisierungen sind in meinem Kopf eine nach der anderen zerbrochen und der einzig logische Schluss war, mein Verhalten zu ändern. Meine Familie, mein Partner und auch meine Freunde haben zumindest anfangs nicht so empfunden wie ich. Das hat mich erstmals in eine Krise gestürzt. Ich habe mich in meine Bachelorarbeit zum Thema Tierwohl gekniet, mich total überarbeitet, weil ich das Gefühl hatte, ich muss für all diese Probleme jetzt eine Lösung finden.

In dieser Zeit begann ich mich für die Klimastreikbewegung einzusetzen. Das war für mich die Rettung, wie ein Ventil. Es war unglaublich wichtig zu merken, dass ich in meinem Empfinden nicht allein bin. Die Bewegung hat mir erlaubt, aus einer Starre zu entkommen. Ich versuche, ein gutes Beispiel zu sein, dem Gesagten ein Gesicht zu geben. Den Leuten zu sagen, dass die Lage ernst ist und gleichzeitig Hoffnung zu geben, zu zeigen, mir geht es gut, ich lebe ein gutes Leben. Ich esse gutes Essen, es ist tierquälfrei, kommt von Personen, zu denen ich Vertrauen habe.

Mit Leuten zu sprechen, die nicht meiner Meinung sind, das ist mir unglaublich wichtig. Du siehst freundliche Gesichter und merkst, die Leute haben ihre Sorgen, Verantwortung, eine andere Ausbildung und andere Hintergrundgeschichten. Manchmal fällt es mir schwer, nicht sehr hart ins Gericht zu gehen. Ich versuche mich dann in die anderen Schuhe zu versetzen, und ich rufe mir in Erinnerung, wie ich vor zwei Jahren war. Man muss eine Kommunikation finden, die weniger hässig ist, wo man sich weniger angegriffen fühlt. Ich bin nicht der Typ für ein hohes Level an Konfrontation. Man darf die Kommunikation nicht abbrechen lassen. Wenn die Leute zurückkommen und erzählen, dass sie etwas ausprobiert haben, das freut mich sehr.

Mein Traum ist es, eine Welt zu haben, in der wir die Rahmenbedingungen so gesetzt haben, dass man geniessen kann, für was auch immer man sich entscheidet. Ein Kollege hat’s schön gesagt: eine Welt, wo man nicht 300-mal am Tag die richtige Entscheidung treffen muss. Ich bin unglaublich froh, mit der Klimastreikbewegung eine Homebase zu haben, wo ich Energie tanken kann. Es gibt ja Geschichten von Menschen, die unter den schwierigsten Umständen Heldentaten vollbracht haben. Das ist nicht meine Geschichte. Ich hatte so viel Glück, eine super liebe Familie. Ich kann rausgehen und mich einsetzen. Das funktioniert nur, weil ich zurückgehen kann in ein unterstützendes und liebevolles Umfeld.

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Die meisten Geschichten entwickeln sich in einem Gespräch und wir schreiben sie auf. Manche Geschichten werden uns zugeschickt, auf Einladung oder spontan. Bislang haben wir die Geschichten nicht systematisch gesucht – sie ergeben sich durch spontane Kontakte, Empfehlungen und Zufälle.

Die Geschichten widerspiegeln nicht immer unsere Meinung; und die Geschichtenerzählerïnnen sind wohl auch nicht immer einer Meinung.

Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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