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Weshalb reissen wir nicht einfach ein Blatt ab? Lassen die Schnecke nicht auf dem Weg liegen? Weshalb rotten wir die Giftpflanze nicht aus? Und was ist dann mit den Stechmücken oder Zecken, lassen wir die auch leben? So beginnen in meinen Führungen dann die Diskussionen.

Wir machen Führungen zu ganz verschiedenen Themen, aber Biodiversität und Klimawandel werden immer häufiger gebucht. Ich mache auch Führungen mit sogenannt schwierigen Jungs, Zigarette im Mund, Energy Drink in der Hand, Handy am Ohr. Die legen sie dann weg und ich erzähle ihnen etwas über Bäume und Sträucher. Wir machen einen Kreis, acht Meter Durchmesser, was könnte das sein? Ja, so breit ist der Stamm eines Mammutbaumes. Ich zeige ein Bild von Julia Butterfly Hill, die zwei Jahre lang einen über tausend Jahre alten Baum besetzt hat, damit er nicht abgeholzt wird.

Es wird richtig ruhig, wenn sie das Bild sehen. «Was, wenn sie pinkeln muss?» Und natürlich immer: «Pflanzen Sie auch Drogen?» Da gehe ich dann auch darauf ein. Ich möchte die Leute dort abholen, wo sie sind, meine Begeisterung vorleben, ohne zu moralisieren. Am Schluss gibts Knäckebrot, Frischkäse und Salz mit den Kräutern, die sie im Garten gesehen haben. Gerade geflüchtete Jugendliche geben sich häufig viel Mühe, schreiben sich die lateinischen Namen auf, nehmen Samen mit nach Hause. Vielleicht sind sie noch näher an der Realität, dass man Pflanzen für sich nutzbar machen kann. Die Schule kommt jedes Jahr wieder.

Die Verbindung zum Lebendigen, das hat oft mit der eigenen Biografie zu tun. Als Kind war ich jedes Wochenende im wilden Garten meiner Eltern. Als ich vier Jahre alt war, nahm ich eine Schere und zerschnitt Blätter, das ging so schön. Und dann zerschnitt ich Käfer. «Die wollen doch auch leben wie du!» Meine Mutter wurde sonst nie laut. Dieser Satz begleitet mich das Leben lang. An meinem ersten Tag Biologiestudium dachte ich, endlich 150 Leute, die so verrückt sind wie ich. Ich habe keinen Tag daran gezweifelt, dass es das Richtige ist.

Wir hatten lange eine ganz beschränkte Wahrnehmung, und jetzt haben wir langsam die Forschungsmethoden, um herauszufinden, wie komplex eigentlich alles ist, wie lebendig alles ist. Damit kommen schwierige, faszinierende Fragen: welche Rechte haben denn Pflanzen, Tiere? Da wackeln wir an den Grundfesten. Das ist doch spannend, wenn man sich ändern kann, wenn man merkt, jetzt muss ich mein Verhalten halt wieder anpassen.

Hier kannst du an einer Führung von Evelin im Botanischen Garten teilnehmen.

Diese Story wurde im Rahmen der Serie Inspiring Stories mit der Universität Zürich erzählt.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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