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Es war kalt und so schaute bloss seine Mütze aus dem Wolldeckenwickel. Augen oder ein Gesicht konnte ich nicht ausmachen. Und so getraute ich mich erst gar nicht, den Mann anzusprechen, der auf einem Hocker neben seinem bunten Kunstblumenturm sass. Unter dem Turm betont ein Auslegewerk von Dingen einerseits den künstlerischen Anspruch seiner Installation und schafft gleichzeitig Abstand. Als Szenografin fasziniert mich die kräftige Wirkung dieser Komposition.

Ein paar Tage später entschloss ich mich an gleicher Stelle zu einem Kontaktversuch. Allzu gern wollte ich wissen, wie die Idee zu diesem Blumenturm entstanden ist, ob er einmal kleiner war und wie die Leute darauf reagieren. Ob der Mann den Turm selbst gemacht, ihn gekauft oder geschenkt bekommen hat. Und wie dieses unglaubliche Spannungsfeld des dick in Wolldecken eingemummten, im Sitzen schlafenden Menschen und einem fast doppelt so hohen, buntblühenden Blumenturm zustande gekommen ist.

Der konische Turm ist mit bunten Lämpchen geschmückt, davor ein Hirsch, ein Kreuz, Kerzen und viele Kleinigkeiten, erinnern mich an Gaben unter dem Weihnachtsbaum, an christliche Ikonografie. Oder an filigrane Klosterarbeiten unter Altarbildern. Noch immer tut sich kein Wank unter der Mütze. Der Blumenturmbesitzer kümmert sich nicht um meine Ansprechversuche. Rundherum werden Fahrräder in Ständer gestellt, fahren Trams ein und aus, schleppen Leute Taschen aus der Migros, bellt ein Hund. Doch in der Wolldecke bleibt alles, wie es ist. Ich gebe nach einer Weile auf.

Vielleicht hätte ich letztes Jahr, als ich ihn vor der St.-Jakobs-Kirche am Stauffacher sah, mehr Glück gehabt. Doch damals hatte ich erst mal die stille Performance betrachtet, die mich als Gestalterin fasziniert: In dieser temporären Installation sehe ich Bühnenbild, Performer, überraschender Medieneinsatz, gutes Beleuchtungskonzept, Emotionalität, gekonnter Umgang mit vorhandenem Wissensschatz des Publikums, Freiraum für Interpretationen und ein Dialog ohne Worte – etwas, das mich in meinem Beruf immer wieder herausfordert. Dann sah ich den Mann nicht mehr bis im November, spätabends aus dem Tramfenster am Bellevue. Um diese Zeit haben alle ihre Ruhe verdient, dachte ich und fuhr weiter.

Und nun, zwischen Weihnachten und Neujahr, sitzt er wach neben der Bank der Tramstation Stauffacher auf seinem verhüllten Sitz. Die Bank nutzt er als Ablage und Stauraum. Zwischen den Knien eine Kürbissuppe. Neben ihm, als wären es Bilder in einer Wohnung, Leuchtreklamen mit Luxusuhr und dem Klima, das Zürich dankt. Der Wind bläst den Regen durch den tristen Abend. Der Blumenturm spiegelt sich im regennassen Tramtrassee und irgendwie erzeugt das alles fast schon ein Bild von Wohnlichkeit. Mich fasziniert diese Inszenierung noch immer.

Der Mann würde sich vielleicht über ein Dessert freuen, geht mir durch den Kopf, und weil ich selbst Lust auf einen Panettone habe, kaufe ich gleich zwei. Er löffelt noch seine Suppe, ich grüsse. Es bläst, es ist kalt, beginnt er das Gespräch, und ich biete ihm den Panettone an. Nein, Süsses esse er nicht, Chips wären besser, meint er und löffelt weiter. Ob er den schönen Turm selbst gemacht habe, frage ich – endlich bei der zentralen Frage angekommen. Die gefällt ihm nicht. Ich soll ihn in Ruhe essen lassen und mich nun distanzieren, meint er. Und beansprucht dabei das mit seinen Dingen markierte Revier ganz für sich. Ich esse den Panettone unter seinem Protest und steige mit einem Gefühl, als wäre ich unerlaubt in seine Wohnung eingedrungen, ins eben vorgefahrene Tram ein. Noch ein Blick aus dem Fenster des anfahrenden Trams auf die Installation, die auch ohne Worte funktioniert, und weg bin ich.

Nachtrag

Zufälle gibt es! Für die Geschichte fehlte noch das Foto von mir. Also machten wir auf dem Heimweg eins im Tram und stiegen am Bellevue aus. Und hey! Da sass er – wach, erzählfreudig und rüstete einen Apfel. Er erlaubte uns sogar ein Foto gegen Honorar und ein Gespräch: Nationalität bedeute ihm nichts, er lebe ja zwischen Himmel und Erdmittelpunkt. Ausser der Polizei hätten alle Freude an seiner Kunstinstallation. Schon jahrelang wünsche er sich eine Wohnung, denn Kälte und Feuchtigkeit strapazierten seine Gesundheit. Deshalb solle ihm ja niemand einen schönen Abend wünschen, es sei nicht schön, auf der Strasse zu leben. Beim Verabschieden wünschte ich ihm doch glatt einen und korrigierte dann schnell: En Guete.

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