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Eigentlich habe ich Astrophysik studiert. Mein erstes bezahltes Catering habe ich aber bereits mit elf Jahren gemacht. Und in der ersten Oberstufe im Schulklassenlager habe ich für alle gekocht, alles organisiert und geplant. Ich ging sogar vorher im Lagerhaus vorbei, um das Geschirr anschauen. Da es mir nicht gefiel, nahm ich mein eigenes mit. Und ich brachte mein Mami dazu, dass sie mir Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk vorstreckte, damit ich mehr und teurere Esswaren kaufen konnte. Auch während meines Studiums organisierte ich immer wieder Events und Parties, zum Beispiel mit dem Hive die erste Openair-Clubveranstaltung an einem Zürifest.  

Nach dem Studium arbeitete ich bei einer grossen Finanzfirma als Analystin von Flutdaten. Mein Vater sagte noch: ich gebe dir zwei Monate, weil du nicht in ein fixes System passt. In der Firma gab es ein super Restaurant. Als ich drei Wochen Ferien hatte, fragte ich, ob ich dort ein Praktikum machen dürfe. Der Koch meinte: Was, du arbeitest als Physikerin im Büro und möchtest jetzt in deinen Ferien um sechs Uhr morgens Rüebli schälen? Das machte ich und es hat klick gemacht. Ich kündigte den Job als Analystin und gründete mit meinem Kollegen Remo das Cateringunternehmen Tastelab.

Zuerst haben wir an unseren Caterings vor allem die wissenschaftlichen Prinzipien hinter den Kochvorgängen zum Thema gemacht. Der nachhaltige Aspekt ist ganz natürlich dazu gewachsen. Wenn man sich wirklich für Essen interessiert, beginnt man unweigerlich sich dafür zu interessieren, wo und unter welchen Bedingungen das Produkt entstanden ist. Und irgendwann ging es dann nicht mehr nur um die Wissenschaft des Dampfkochtops, sondern um den Einfluss unseres Essenssystems auf die Welt. Und darüber wollen wir mit unseren Menus auf kreative Art und Weise eine Geschichte zu erzählen. Das ist auch für mich ein Entwicklungsprozess. Ich schau mir Zahlen an, recherchiere. Wenn etwas keinen Sinn macht, dann fliegt es bei uns raus, dann gibt’s kein Zurück. Sei es wegen CO2, Ethik, Sozialem. Ganz persönlich hat sich das für mich geändert, als ich Mutter wurde. Mir wurde da erst richtig bewusst, dass eine Kuh nicht Milch gibt, weil sie Kuh ist, sondern weil sie Mutter ist. Ich schämte mich richtig, hatte mich doch so intensiv mit Food beschäftigt und trotzdem nur das Tetrapack gesehen.

Am WEF hatten wir den Auftrag für einen Anlass das Catering zu übernehmen. Wir wollten eine radikale Message senden. Also haben wir ein komplett pflanzenbasiertes Menu zusammengestellt. Dann stellte sich heraus, dass der Veranstalter einer der grössten Viehzüchter Australiens war. Für ein Ändern des Menus war es eh längst zu spät. Aber er fand es dann tatsächlich spannend und mutig. Wir waren in seinen Augen halt auch nicht irgendwelche Hippies, sondern Physiker, die mit Zahlen argumentierten.

Ein Popup-Restaurant zum Thema Ablaufdatum von Lebensmitteln machten wir auch einmal. Einen Monat lang bekamen wir von einem Engrosmarkt um 5 Uhr morgens die Lebensmittel, die nicht mehr haltbar waren. Wir experimentierten viel herum, was können wir mit Salz, Fermentieren, Trocknen, Erhitzen oder Kühlen haltbar machen? Über eine Tonne Lebensmittel machten wir ein. Einschränkung bei der Auswahl macht einen so viel kreativer und glücklicher. Einfach als Tipp: Federkohl fermentieren schmeckt wie Kuhmist. Aber matschige Cherrytomaten kann man häuten und trocken, dann werden sie wie Rosinen mit unglaublichem Tomatengeschmack. Und matschige Pfirsiche haben wir püriert, fermentiert und Sorbet daraus gemacht. Es gab Gäste, die sprachen Jahre später noch davon.

Ich habe mir einen Job geschaffen, bei dem ich meine grosse Liebe zum Essen, zum Organisieren von Events und zu wissenschaftlichen Zahlen und Analysen verbinden kann. Und mache etwas, das man sieht, ich bin nicht nur ein kleines Rädchen im grossen Universum. Wir haben auch den Luxus, nur Aufträge annehmen zu müssen, die unserer Philosophie entsprechen. Wenn du einen Markt abschreckst, ziehst du eben einen anderen an. Überhaupt bin ich nicht sentimental bei Veränderungen. Was heute normal ist, musste ja auch mal jemand erfinden.

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Stories for future wurde von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer von Tsuku ins Leben gerufen. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt das Projekt mit einem finanziellen Beitrag. Weitere Interessenbindungen bestehen nicht.

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