Neue Geschichten jeden Dienstag und Freitag.

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An diesem Freitag hiess es dann: Schulen zu. Ich hätte nie damit gerechnet, war felsenfest davon überzeugt, dass sie das nicht machen. Ich habe meine schöne Agenda angeschaut, in die ich mit Bleistift schreibe, und erstmal fast alles ausradiert. Nach 16 Jahren als Primarlehrerin war ich in einer Art Sabbatical und wollte bis im nächsten Sommer mit Lehrvertretungen und Kursen an der Pädagogischen Hochschule mein Geld verdienen. Jetzt wusste ich: that’s not gonna happen.

Vor vier Jahren habe ich meine Ausbildung als Beraterin für Lehrpersonen und Eltern abgeschlossen. Mir war sofort klar, dass jetzt ganz viele Familien in einer schwierigen Situation sind. Struktur, klare Abläufe, Regeln und Abmachungen sind so wichtig zum Lernen. Und wenn die Kinder plötzlich zu Hause lernen, fällt das alles erstmal weg. Da spürte ich plötzlich wahnsinnig viel Energie. Eigentlich bin ich ja Expertin für dieses Thema! Genau das mache ich unglaublich gerne und weiss unglaublich viel. Das ist es, in dem bin ich gut! Ich kann die Familien zuhause unterstützen, zeigen, wie man es machen könnte. Homeschooling Zürich, so muss das Projekt heissen und auf Facebook ist die Seite noch frei. In einem Marathon, Samstag, Sonntag, Montag, Dienstag habe ich durchgearbeitet, die Seite aufgebaut, Angebote entwickelt. Selbstständig arbeiten wollte ich eigentlich schon eine Weile lang, aber mit einem 100%-Job hatte ich nie die Zeit gefunden, etwas aufzubauen.

Als Lehrerin habe ich immer gerne mit Rollenspiel gearbeitet, ein Stoffschaf genommen und das Schaf sagt: «das ist aber ein Saumeis hier». Die Kinder finden das lustig, nehmen auf das Schaf Rücksicht. Selbst die coolsten Buben wollten das Schäfchen oder Häschen an ihren Platz nehmen. Dieses Rollenspiel mit Tieren kam mir jetzt wieder in den Sinn, als ich mir überlegte, wie ich in dieser Situation jetzt am besten helfen kann. Ich kam auf die Idee, eine Miniklasse aus Stofftieren zu erfinden, und mithilfe dieser Stofftierklasse Geschichten zu erzählen, die beim Lernen zuhause helfen. Jedes Tier hat einen Namen und einen Charakter. Beno Büffel zum Beispiel büffelt gerne und ärgert sich, wenn er sich nicht konzentrieren kann. Musik hilft ihm, sich auf eine Aufgabe einzulassen. Es macht mir extrem Spass, solche Geschichten zu spinnen. So können Eltern und Kinder auf schöne Art und Weise lernen, wie Lernen zuhause besser gelingen kann.

Wichtig ist für mich, dass es den Computer ja nicht immer braucht. Wenn eine Familie drei Kinder hat und die Eltern Homeoffice machen, hat man ja nicht einfach fünf Computer zu Verfügung. Es gibt auch Familien, die gar keinen Computer haben und die jetzt besondere Unterstützung brauchen. Man ist jetzt so darauf fokussiert, dass alles digital ablaufen muss, dass man vergisst, dass uns die Umwelt ganz viele Lernmöglichkeiten gibt. Ich schlage Dinge vor, die man zuhause machen kann, auf dem Balkon, im Wald.

Die Miniklasse-Geschichten sind auf meiner Seite für alle zugänglich. Natürlich hoffe ich, dass sich auch jemand für eine persönliche Beratung meldet, ich muss ja in Zukunft auch etwas verdienen. Es gibt zwar eine Fülle an Information, Tipps und Apps für Eltern, was man mit den Kindern machen könnte. Trotzdem habe ich das Gefühl, es braucht das persönliche Gespräch. Jede Familie ist individuell, es hängt davon ab, wie die Kinder sich verhalten, was sie für einen Charakter haben, wie die Eltern leben. Manchmal ist man überwältigt von den tausend Tipps, es muss doch funktionieren, denkt man, und das tut es dann nicht. Ich konnte schon eine Beratung mit einer Familie durchführen, wir konnten ganz viel sortieren, Struktur geben, Abmachungen treffen.

Es finden jetzt ja viele Diskussionen statt, was die Auswirkungen dieser Situation sind. Ich finde, man unterschätzt die Kinder und unser Schulsystem. Es passiert jetzt auch wahnsinnig viel, bei ganz vielen Menschen ist ganz viel Energie freigesetzt worden. Ich bin sehr überzeugt, auch wenn man vier Monate gar keinen Unterricht hätte, dass man das gut aufholen könnte. Es braucht jetzt Rücksicht und Gelassenheit für Eltern und Kinder, dass nicht alles von Anfang an funktionieren muss. Und Zuversicht, Geborgenheit, Sicherheit, dass es im Fall schon gut kommt.

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Stories for Future wurde 2020 von Moritz Jäger und Gabi Hildesheimer ins Leben gerufen. Das Projekt ist nicht-gewinnorientiert und zählt auf viel freiwillige Arbeit. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt Stories for Future für die Projektphase 2021-2024. Neben der digitalen Publikation veranstaltet Stories for Future immer wieder Ausstellungen im physischen Raum und Workshops und Vorträge.

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