Ich habe einfach meinen Mut zusammengenommen und bin ins Gemeindehaus von Amden, um zehn vor fünf, wie man das ja geschickterweise nicht machen sollte. Und dann kam mir einer entgegen, am Heimgehen, das war der Gemeindepräsident, und fragte: Ja, was wollen sie? Ich erzählte ihm meine Idee: ein Bücherregal mit gebrauchten Büchern zum Mitnehmen und Tauschen, im Eingangsbereich der alten Post, gleich neben der Bushaltestelle. Das fand er dann tatsächlich eine sehr gute Idee!
Einige Zeit später sprach ich mit dem Tourismusdirektor, auch er war begeistert. Es ging dann doch noch ein paar Monate hin und her, neuer Gemeindepräsident, Budgetbedenken… Irgendwann sah ich im Internet drei Büchergestelle, die einfach perfekt an den Ort passten. Ich rief nochmals an, sie schrieben nochmals begeistert zurück, stellten den Gemeindeschreiner an und montierten die Büchergestelle. Dann mussten wir ganz schnell viele Bücher sammeln! Ich fragte beim Bahnhof Wipkingen nach. Dort hat es eine Büchertauschkiste und sie sagten mir, ich könne gerne Bücher mitnehmen, sie bekämen genug. Ich durchforstete mein eigenes Büchergestell und fragte Freundinnen und Verwandte. Wir hatten dann etwa zweihundert Bücher zum Anfangen, das tönt nach viel, aber im grossen Büchergestell sah es aus wie zehn. Eine Woche drauf schrieb eine Zeitung über uns und plötzlich riefen mich Leute an und wollten Bücher vorbeibringen. Alles Mögliche, alte Schinken, die niemand mehr lesen will, Romane, Sachbücher oder eine ganze Serie von Agatha-Christie-Krimis… Es war viel gutes Zeug darunter und langsam hat sich das Büchergestell gefüllt.
Wider Erwarten war das Büchergestell schnell wahnsinnig beliebt. Ich gehe regelmässig schauen und es ist unglaublich, wie schnell die Bücher wechseln, wie die Leute positiv reagieren. Die Buschauffeurin findet es wunderbar, sie liest gerne Thriller, und nach dem Lesen gibt sie die Bücher einem anderen Buschauffeur, das hat sie ihm versprochen. Das ist auch erlaubt, auf der Anleitung haben wir ausdrücklich geschrieben: Man darf nehmen, zurückbringen, behalten oder etwas Neues bringen.
In Amden gibt es ein Durchgangsheim. Eine Deutschlehrerin kam mit vier Kindern aus dem Heim vorbei. Es hatte leider nicht so viele Kinderbücher, zum Beispiel ein Harry Potter-Band, aber der war für die Kinder zu schwierig. Ein Bub fand ein Buch und sagte: ich möchte das unbedingt lesen. Die Lehrerin fand, das ist zu schwierig. Aber der Bub blieb dabei und las dann eine Seite zur Probe. Hast du’s verstanden? Ja! Also durfte er es behalten. Der Bub strahlte über das ganze Gesicht und zeigte mir das Buch. Auf dem Titelbild war so etwas Furchteinflössendes, das fand er ganz lässig. Ein Mädchen fand ein Bilderbuch für ihre kleine Schwester, sie hatte total Freude.
Bücher für Kinder sind immer am schnellsten weg. Ich komme fast nicht nach mit Nachschub. Darum hänge ich jetzt in vielen Läden Inserate auf: ich übernehme gerne gebrauchte Kinderbücher oder Bilderbücher. In einer Kleiderbörse in meinem Quartier hat es eine Gratiskiste mit ramponierten oder verkribelten Büchern, die sich nicht verkaufen lassen. Die flicke ich und radiere das Gekrakel. Und die Börse ist noch so froh, dass sie sie loswerden.
Als ich letzthin am Büchereinräumen war, fragte mich ein Paar mit Wanderstöcken: wo hat’s einen Briefkasten? Sie hatten einen Brief auf der Strasse gefunden, schon vor fünf Tagen gestempelt. Ich fragte, ja, für wen ist er denn? Und dann stand da tatsächlich mein eigener Name drauf! Es war ein Brief des Gemeindepräsidenten, der danke sagen wollte.